„Wir sind die erste Menschheitsgeneration, die einen vollen Überblick über die mit unserer Lebens- und Wirtschaftsweise verbundenen Risiken hat, und gleichzeitig vielleicht die letzte, die sie abwehren kann.“
Fritz Reheis
Was braucht der Mensch für ein gutes Leben? Aristoteles (384-322 v. Chr.) behauptete, dass es einer Haltung zugrunde liegt: Glücklich ist, wer ein Mittelmaß findet: „Von den Extremen ist das eine schlimmer, als das andere.“ Bereits vor als 400 Jahren vor Christus begann Sokrates damit, Fragen nach dem guten Leben zu stellen. Für die antiken Griechen hatten sie einen so hohen Stellenwert, dass sie eine eigene Disziplin daraus gemacht haben: Die Teleologie ist die Lehre vom höchsten Ziel oder Gut. Der griechische Philosoph Platon stellte sie im vierten Jahrhundert v.Chr. in den Mittelpunkt seines Denkens und glaubte daran, dass es das „Streben nach dem Guten“ sei, was den Menschen zum Handeln antreibt. Das Streben des Einzelnen nach dem „Bestmöglichen“ stellte einen wichtigen Beitrag für die Gemeinschaft dar und trug zu einer übergeordneten Vorstellung eines guten (sinnhaft und erfüllenden) Lebens bei.
Das überhitzte „Mehr, mehr, mehr!“ verdeckt heute allerdings die Frage nach einem guten Leben. Für Edward und Robert Skidelsky ist das Leben im digitalen Zeitalter „gut“, wenn sieben Grundbedürfnisse befriedigt sind: Gesundheit, Sicherheit, Respekt, Entfaltung der Persönlichkeit, Harmonie mit der Natur, Muße und Freundschaft. Die grundlegenden Güter sind für sie universell. Ein gutes Leben handelt im Dienst des menschlichen Wohlergehens und erkennt an, dass alles mit allem in dieser Welt zusammenhängt, dass alle Menschen in Würde leben können und ihnen Gemeinschaft ermöglicht wird.
Silvia Liebrich schreibt in der Süddeutschen Zeitung „Nicht wachsen, sondern Grenzen setzen und maßhalten, muss daher das Motto der Zukunft lauten.“ „Maßhalten ist das Beste“, sagten bereits die alten Griechen. In der Maori-Kultur umfasst das Konzept des Wohlbefindens geistiges, ökologisches, soziales und wirtschaftliches Wohlergehen. In den Anden-Kulturen ist das buen vivir („gut leben“) eine Weltsicht, in der „die Fülle des Lebens in Gemeinschaft mit anderen und mit der Natur“ große Wertschätzung erfährt.
Fritz Reheis, einer der geistigen Väter von Begriff und Konzept der Entschleunigung, stellt vor diesem Hintergrund in seinem aktuellen Buch die Frage, wonach wir uns von Beginn an sehnen. Es ist Resonanz: „Jeder Mensch erhofft sich Resonanz auf das, was er tut: dass er verstanden wird, wenn er sich anderen mitteilt; dass er Antworten erhält, wenn er Fragen stellt; dass die Natur gedeiht, wenn er sich um sie kümmert; dass Entscheidungen, die er trifft, sich auch ‚stimmig‘ anfühlen.“ Resonanz ist für ihn auch der Schlüssel zu einem neuen Verständnis von Nachhaltigkeit, denn nur, wenn der Mensch seine soziale Mitwelt, seine natürliche Umwelt seine und personale Innenwelt als Resonanzräume erfährt, wird nachhaltige Entwicklung möglich.
Der lateinischen Wortbedeutung nach ist Resonanz zunächst eine akustische Erscheinung, denn „re-sonare“ bedeutet widerhallten, ertönen. Je nach Anwendungsbereich hat es drei Grundbedeutungen: „Mitschwingen“ von Körpern in der Physik, „Klangverstärkung“ und „Klangverfeinerung“ in der Musik, „Interesse“ und „Verständnis“ beim Menschen.
Resonanz
- ist die Grundlage der Planetenbewegung.
- verbindet als chemische Bindung die Moleküle der Materie.
- schließt uns in Tages- und Jahreszeiten zusammen.
- koordiniert die Zellen und den Stoffwechsel unseres Organismus.
- macht ein individuelles ganzes Lebewesen aus.
- ermöglicht das Erfassen sinnlicher Eindrücke, die im Zentralnervensystem mithilfe von Resonanzmechanismen verarbeitet werden.
- ist die Grundlage des Zusammenlebens der Menschen.
- hält die Welt im Innersten zusammen, wenn sie aus den Fugen zu geraten scheint.
Der Mensch ist, so der Soziologe Hartmut Rosa, als soziales Wesen auf Resonanz angewiesen, darauf, dass sie antwortet. Seine These ist, dass es im Leben auf die Qualität der Weltbeziehung ankommt, „auf die Art und Weise, in der wir als Subjekte Welt erfahren und in der wir zur Welt Stellung nehmen; auf die Qualität der Weltaneignung.“ Ohne Liebe, Achtung und Wertschätzung bleiben die Resonanzachsen allerdings „starr und stumm“. Resonanz liefert den Maßstab für ein gutes Leben, das reich an Resonanzerfahrungen sein und über stabile Resonanzachsen verfügen sollte.
Hier setzt das Buch „Die Resonanz-Strategie“ von Fritz Reheis an. Publizistisch beschäftigt sich der habilitierte Erziehungs- und Sozialwissenschaftler mit der Frage nach dem richtigen Zeitmaß. Er ist Autor viel beachteter Bücher wie „Entschleunigung: Abschied vom Turbokapitalismus“, „Die Kreativität der Langsamkeit“ und „Wo Marx Recht hat“. Sein aktuelles Buch zeigt, dass die herrschende Wirtschaftsordnung mit ihrem Beschleunigungsdiktat Resonanzphänomene systematisch blockiert und damit ein gutes und nachhaltiges Leben verhindert. Seine Resonanz-Strategie zeigt, wie die Symphonie des Lebens, die vom Lärm des Geldes ständig übertönt wird, für uns alle wieder hörbar werden kann, wenn wir eine „offene, aufmerksame, umsichtige, flexible, kreative, einfühlende und liebende Lebenseinstellung“ haben.
ist freie Publizistin, Autorin und Nachhaltigkeitsexpertin. Sie studierte Literaturwissenschaft, Psychologie und Buchwissenschaft. Anschließend war sie viele Jahre in oberen Führungspositionen der Wirtschaft tätig. Bis 2009 arbeitete sie als Leiterin Gesellschaftspolitik und Kommunikation bei der KarstadtQuelle AG (Arcandor). Beim den Deutschen Fußball-Bund (DFB) war sie 2010 bis 2013 Mitglied der DFB-Kommission Nachhaltigkeit. Den Deutschen Industrie- und Handelskammertag unterstützte sie bei der Konzeption und Durchführung des Zertifikatslehrgangs „CSR-Manager (IHK)“. Sie leitet die AG „Digitalisierung und Nachhaltigkeit“ für das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt „Nachhaltig Erfolgreich Führen“ (IHK Management Training). Im Verlag Springer Gabler gab sie in der Management-Reihe Corporate Social Responsibility die Bände „CSR und Sportmanagement“ (2014, 2. Auflage 2019), „CSR und Energiewirtschaft“ (2015, 2. Aufl. 2019) und „CSR und Digitalisierung“ (2017, 2. Aufl. 2020) heraus. Aktuelle Bücher bei SpringerGabler (mit Werner Neumüller): „Visionäre von heute – Gestalter von morgen“ (2018) und „Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen“ (2020).
Weiterführende Informationen:
Fritz Reheis: Die Resonanz-Strategie. Warum wir Nachhaltigkeit neu denken müssen. Oekom Verlag, München 2019.
Alberto Acosta: Buen Vivir. Vom Recht auf ein gutes Leben. oekom verlag München 2015.
Hartmut Rosa: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Suhrkamp Verlag Berlin 2016.
Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Gut zu wissen… wie es grüner geht: Die wichtigsten Tipps für ein bewusstes Leben Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.
Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Circular Thinking 21.0: Wie wir die Welt wieder rund machen. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.
Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.