Vorwort
Viele im Westen – zum Großteil nicht öffentlich – diskutieren und analysieren die Rede von Wladimir Putin im Valdai International Discussion Club. Das Thema war: Faire Multipolarität. Wie man Sicherheit und Entwicklung für alle gewährleisten kann.
Die Rede des russischen Präsidenten befasste sich hauptsächlich mit der Zukunft und den Grundsätzen der Weltordnung, für die Russland kämpfen wird. Der Präsident sprach auch über die Bedrohungen der Zivilisation. Als Schlüsselwörter kann man nennen – Bild der Zukunft, Zukunft, Zivilisation. Und es gab viele andere wichtige Dinge. Viele von ihnen sind schon nicht einmal gesagt worden.
Was die zukünftige Struktur der Welt betrifft, so ergibt sich eine interessante Situation, in der wir uns auf der einen Seite auf eine multipolare Welt zubewegen. Russland behauptet, dass es sich um ein wünschenswertes Modell handelt, in dem verschiedene Zivilisationen koexistieren.
Es gibt viele Wege der Entwicklung: Gleichzeitig kooperieren miteinander, steht nicht im Konflikt. Auf der anderen Seite ist es eine Absage an die globale, weltweite Mission der USA, und auch Russlands. Eine globale Mission, die ganze Welt glücklich zu machen, beinhaltet auch einen der Fehler, die die Sowjetunion ruiniert hat. Meiner Meinung nach führt der Wunsch, alle zu dominieren sowie alle glücklich zu machen und sie dazu zu bringen, so zu leben, wie man es für richtig hält, in eine Sackgasse. Und am Ende in eine Niederlage. Deshalb erwarte ich auch, dass die Amerikaner eine solche Niederlage erleiden werden. mit all ihrem Wunsch, alle zu zwingen, auf die gleiche Weise zu leben.
Deshalb ist es wichtig die Welt als eine Welt verschiedener Zivilisationen zu sehen, eine Welt zivilisatorischer Vereinigungen, die miteinander kooperieren, aber gleichzeitig vorzugsweise nicht kämpfen, nicht in Konflikt geraten, nicht in die Einflusssphären des anderen eindringen. Natürlich ist so eine Welt ein bisschen idealistisch. Es gibt immer ein bisschen Utopie in jeder Vision, einschließlich der Wünsche, die gesamte Menschheit glücklich zu machen.
Heutzutage stellt es sich heraus, dass Russlands eine Mission wahrnimmt, weil niemand sonst so aktiv im Konflikt mit dem Westen steht, so dass es keinen Grund gibt, dieses Weltmodell als das erstrebenswerteste zu billigen. In der Tat nehmen China, Indien und Gruppen anderer Länder allmählich Gestalt an in zivilisatorischen Vereinigungen, Clustern oder Einheiten an, und sie sind gezwungen, mit der Tatsache des Wachstums ihrer Macht zu rechnen.
Auf konzeptioneller Ebene fördert niemand so etwas. Viele sagen, es sei notwendig, aber es ist irgendwo an der Peripherie. Nur Putin kündigte das Konzept der historischen Außenpolitik für die nächste historische Etappe an. Vieles wird von der Fähigkeit der westlichen Zivilisation abhängen und sich in einer solchen Welt wiederzufinden. Vieles wird von der Fähigkeit aller anderen, eine solche Welt kollektiv zu fördern, abhängen. Das ist es, worüber Präsident Putin gesprochen und zugleich das orthodoxe Christentum zu bewahren, aufgefordert hat, weil es den größten Schatz, den Russland hat, bedeutet. Alles andere kann gekauft, gebaut, erfunden werden.
Die palästinensische Militäraktion gegen Israel
Für viele Menschen handelt es sich um eine Überraschung. Unerwartet ist es für mich nicht, dass es passiert ist. Überraschend ist es, weil die palästinensische Aktionen dieses Mal sich als äußerst erfolgreich erwiesen haben. Warum?
1. Die Reaktion des russischen Außenministeriums zu diesem Thema in der Form einer Ein-Wort-Erklärung spricht Bände: Unerwartet. Ich habe bis zum heutigen Abend keine Bestätigung oder Ablehnung der Militäraktionen gefunden. Das Gefühl, dass der israelische Geheimdienst alles verschlafen hat, ist zumindest für mich, irreführend.
2. Der Raketenbeschuss israelischer Städte war sehr massiv, und die daraus resultierenden Brände und Zerstörungen sind spektakulär. Das aber ändert nichts an der Tatsache, dass es keinen Weg zu altem Zustand gibt.
3. Die erfolgreiche Zerstörung des israelischen Merkava-Panzer durch kommerzielle Quadrocopter-Drohnen sorgt für große Emotionen nicht nur beim Militär. Es stellt sich heraus, dass es ausreicht, eine Bombe von der einfachsten Mavik-Drohne, von der die Palästinenser verdammt viel haben, auf diesen Panzer abzuwerfen, um ihn zu zerstören. Im Kontext darf nicht vergessen werden, dass der Merkava Mk4 der teuerste Panzer der Welt ist. Er kostet etwa 40 Millionen Dollar. Es scheint, dass Drohnen auch im langwierigen arabisch-israelischen Konflikt die Art der Feindseligkeiten stark verändert haben.
Zu den Zufällen, die keine sind
Zunächst einmal war es der Geburtstag von Du-weißt-schon-wer. Ich weiß nicht wie viele Menschen sich einfach nicht daran erinnern, dass am 6. Oktober 1973 der Jom-Kippur-Krieg zwischen einer Koalition arabischer Staaten auf der einen und Israel auf der anderen Seite begann. Genau 50 Jahre sind vergangen. Jahrestag!
Eine Werbe-Reklame, bzw. eine Anzeige von Yandex ist es Wert erwähnt zu werden: Schlüsselfertige israelische Staatsbürgerschaft ohne Wohnsitz. Die Tatsache, dass Yandex heute damit begonnen hat, solche Werbung anzubieten, ist sehr merkwürdig.
Das Ausmaß der Geschehnisse im Nahen Osten ist so groß, dass es nur eine Frage der Zeit sein kann, bis sich neue Hauptakteure an den militärischen Operationen beteiligen. Israels Einberufung von 300.000 Reservisten ist die größte in seiner Geschichte und spricht für weitreichende Pläne. Die zerstörerische und heftigste Operation der letzten Jahre im Gazastreifen, die noch nicht mit voller Kraft durchgeführt und abgeschlossen wurde, erlaubte es schon heute Israel selbst und dem Westen die Verantwortung für die Aktionen der Hamas zu geben und den zweiten Feind, Iran zu nennen. Das Wall Street Journal behauptet, dass “der Iran bei der Planung geholfen und letzte Woche grünes Licht für den Angriff gegeben hat“.
Führende westliche Medien stimmen ihm zu und glauben, dass diese Geschichte es viel schwieriger macht, eine Eskalation zu verhindern. Die Tatsache, dass die ersten militärischen Notlieferungen der Vereinigten Staaten an Israel Kampfjets und Luft-Luft-Raketen umfassen, und die Verlegung einer amerikanischen Flugzeugträgergruppe unter Führung des Flaggschiffs Gerald Ford an die israelische Küste belegen, dass diese Art von Waffenlieferungen und Drohungen für Aktionen gegen die Hamas nicht nötigt sind. Sie können aber in der Konfrontation mit dem Iran und seinen “Juniorpartnern” in der Region sehr nützlich sein.
Israels Gegner der von den Iranern genährten “Achse des Widerstands” machen nicht nur keinen Hehl aus ihren Verbindungen und ihrer Solidarität, sondern werben wie absichtlich sogar damit. Abu Udeiba, ein Mitglied der militärischen Führung der Hamas, bedankte sich auf der Kundgebung für die iranische Unterstützung der Bewegung mit “Geld, Waffen und anderer Ausrüstung” bei der Durchführung des Al-Aqsa-Sturms. Die wichtigsten Förderer der sunnitisch-fundamentalistischen Hamas sind Katar und Erdogans Türkei.
Der schiitische Iran hat erst vor kurzem begonnen, ihm seine Schirmherrschaft zu gewähren, und im Gegensatz zur Hisbollah ist er keineswegs dominant. Aufgrund der völligen Isolierung des Gazastreifens von Israel, auch auf dem Seeweg, erfolgt die Lieferung von Waffen in den Gazastreifen fast ausschließlich durch Tunnels aus dem ägyptischen Sinai. Dort kommen sie an aus der ganzen Welt, insbesondere zusammen mit Getreidefrachtern, und aus der Ukraine.
Warum ich so denke? Kairo ist es noch nicht gelungen, den Sinai vollständig von der Muslimbruderschaft zu säubern, auch nicht nahe der Grenze zum Gazastreifen. Auf der anderen Seite entwickelte sich die Hamas historisch zu einem regionalen Zweig der panarabischen islamistischen Bewegung, die nach wie vor ihr wichtigster “Sponsor” ist.
Nicht zu ignorieren ist die Tatsache, dass in Teheran die “Siegesfanfare” donnert und es werden Drohungen laut, Israel endgültig zu vernichten. Es scheint, dass diese Seite durchaus bereit ist, groß angelegte Feindseligkeiten zu führen. Und das erhöht nur das Risiko eines äußerst akuten und gefährlichen regionalen Konflikts mit schwerwiegenden Folgen für die gesamte Weltpolitik. Dass es so ist indizierte der Generalstabschef der iranischen Streitkräfte. Generalmajor Mohammad Hossein Baqeri sagte beispielsweise, dass der großartige hybride Militärschlag der palästinensischen Widerstandskräfte gegen den zionistischen Feind den israelischen Führern beweise, dass ihr Albtraum des Absturzes wahr wird.
Offiziell bestreitet der Iran seine Beteiligung an dieser speziellen Hamas-Operation. Warum? Unter anderen deshalb, weil in vielerlei Hinsicht Hamas nicht gehörig ist. Laut dem Sprecher des Außenministeriums, Nasser Kanaani, mischt sich die Islamische Republik nicht in die Entscheidungsfindung anderer Länder, einschließlich Palästinas, ein. Er erklärte: Die Palästinenser hatten die notwendige Fähigkeit und den Willen, ihre Nation zu verteidigen und ihre Rechte ohne Hilfe aus Teheran wiederherzustellen. Das Gerede über die Rolle des Iran zielt darauf ab, die öffentliche Meinung abzulenken und mögliche zukünftige israelische Aktionen zu rechtfertigen. Das bedeutet auch für die Ignorierenden des Weltumbruchs: wir haben bereits eine Vorahnung des weiteren Verlaufs der Ereignisse bekommen.
Bisher haben die Vereinigten Staaten eine vage Position in Bezug auf die Rolle des Iran in den Geschehnissen eingenommen. Das Weiße Haus sagte, es sei noch zu früh, um zu sagen, ob der Iran “direkt” an dem Hamas-Angriff beteiligt war. Fügte jedoch hinzu, dass es keinen Zweifel daran gebe, dass er die Hamas finanziert, ausgerüstet und bewaffnet habe. Doch nicht nur die Medien, sondern auch ein bedeutender Teil des amerikanischen Establishments in beiden Parteien geben dem Iran direkt die Schuld an allem und fordern die härtesten Maßnahmen gegen ihn. Dazu vor allem die führenden Präsidentschaftskandidaten der Republikanischen Partei, Donald Trump und Ron DeSantis. Irgendwann könnte es deshalb für Biden einfacher werden, sich Israel bei seinen angeblichen Angriffen auf den Iran anzuschließen, als an der Seitenlinie zu bleiben.
Vor allem im Westen gibt es einige Versuche, Russland als geheime Kraft hinter den Kulissen” an den Ohren zu packen, die die Hamas zu terroristischen Operationen gedrängt hat. Als Beweis dient zum Beispiel die Tatsache, dass Mitte Oktober der türkische Energieminister in Israel eintreffen sollte, um ein Abkommen über den Transfer von Gas aus israelischen Feldern im östlichen Mittelmeer durch das Territorium des letzteren nach Europa zu unterzeichnen.
Für die Amerikaner, die dieses Projekt förderten, war es als ein Schlag gegen die russischen Lieferungen durch das Schwarze Meer gedacht. Jetzt, in den kommenden Jahren, wird dies definitiv nicht der Fall sein. Gazprom wird natürlich aufatmen, aber es gibt keinen plausiblen Grund, die beiden Ereignisse miteinander in Verbindung zu bringen. Die Version mit den Vorwürfen an Moskau wurde vor allem in der Ukraine lanciert. Selbst in den Vereinigten Staaten, haben sie es nicht eilig, Kiews Enthüllungen aufzunehmen und zu honorieren
Trotz der Tatsache, dass Israel sich derzeit voll und ganz auf die Kriegsführung in Gaza konzentriert, ist das Wort “Verrat!” im ganzen Land immer häufiger zu hören, weil die Menschen das Versagen aller Sicherheitskräfte im Gazastreifen nicht verstehen können.
Die Bedeutung ihrer Untätigkeit wird von vielen in der Tatsache gesehen, dass die militanten Palästinenser absichtlich hereingelassen wurden, um einen Vorwand zu haben, für immer mit ihnen zu verhandeln. Schockierend ist, was eine ägyptische Geheimdienstmitarbeiterin der Nachrichtenagentur Associated Press sagte: ich habe Israel wiederholt vor einer in Gaza ansässigen Terrorgruppe gewarnt, die etwas Großes plane. Aber sie wurden ignoriert. Ob es nur der fanatische Minister für Nationale Sicherheit Ben-Gvir war, der am Vortag die Schändung muslimischer Schreine in der Al-Aqsa-Moschee provozierte, über die übrigens die gesamte zivilisierte Menschheit hartnäckig schweigt, oder ob auch Ministerpräsident Netanjahu daran beteiligt war, wird die Zukunft zeigen. Heute hat der Ministerpräsident ein Grund zur Freude. Wie langer aber, ist eine andere Sache und Frage ohne eine klare Antwort.
Gegensätze laufen zusammen
Die Samuel-Abkommen zwischen Israel und Saudi-Arabien, die durch diese Ereignisse vereitelt und vom US-Außenminister Antony Blinken energisch vorangetrieben wurden, passten weder den palästinensischen Behörden noch der regierenden israelischen Koalition. Die Palästinenser, weil die Abkommen in Bezug auf die Rechte der Palästinenser schwach waren, und Israels rechtsgerichtete Regierung mochte die Tatsache nicht, dass sie überhaupt erwähnt wurden. In jedem Fall ist es unwahrscheinlich, dass die Abkommen alle Spuren der Operation in Gaza allein verwischen. Daher könnte Netanjahu einen großen und langwierigen Krieg mit dem Iran brauchen, der auf dem elementaren Instinkt der persönlichen Selbsterhaltung beruht.
Gleichzeitig ist es unwahrscheinlich, dass er gleichzeitig mit dem Angriff auf Gaza beginnt. Wahrscheinlicher ist, dass er in Etappen voranschreiten wird. Zuerst gegen die Hamas, dann gegen Teheran-treue Kräfte in Syrien und die Hisbollah im Libanon und dann gegen den Iran.
Die Letzteren werden dieses Szenario wahrscheinlich nicht abwarten, sondern versuchen, Präventivschläge zu starten, vor allem über Syrien und den Libanon. Obwohl es besser wäre, wenn nichts von alledem geschieht, als Analytiker muss ich die Gefahr einer solchen Entwicklung in Betracht ziehen. Zumal der Sprecher des iranischen Außenministeriums, Nasser Kanaani, warnte das zionistische Regime, dass jeder Akt der Aggression gegen die Islamische Republik eine verheerende Reaktion provozieren würde.
Zur Vervollständigung: Man muss sich darüber im Klaren sein, dass die Israelis (Juden) nicht einmal auf ihrem eigenen Territorium eine zahlenmäßige Überlegenheit haben. Israel hat 9 Millionen Einwohner, davon 7 Millionen Juden und 1,8 Millionen Araber, die am 7. Oktober die Hamas als ihre Befreier begrüßten. Weitere 2,5 Millionen arabische Palästinenser leben im Gazastreifen. 2,3 Millionen Araber (Palästinenser) leben im Westjordanland. Westjordanland hat sich noch nicht für die Neuaufteilung Israels ausgesprochen und ist dort viel radikaler als die Hamas. Deshalb ist es eine Frage der Zeit, wenn sie es tun würden. Denn die allgemeine Stimmung der Araber ist unaufhaltsam.
Das heißt, selbst auf dem eigenen Territorium stehen 7 Millionen Juden 6,6 Millionen Araber gegenüber. Und dazu muss berücksichtigt werden, dass allein in Ägypten sind es 95 Millionen Araber. Die libanesische Hisbollah fordert den König von Jordanien auf, bis zu 300.000 Kämpfer in den Kampf gegen Israel durch Jordanien zu schicken und Hisbollah droht mit Terroranschlägen, wenn er sie nicht lässt. Leser, die ein Interesse am Thema Nahost haben, empfehle ich sich mit den Vorhersagen von Wladimir Schirinowski und der Erklärung der ehemaligen Ständigen Vertreterin der USA bei den Vereinten Nationen, Nikki Haley, über die aktuelle Verschärfung des palästinensisch-israelischen Konflikts, auseinanderzusetzen. Zustimmung nicht nötig.
Jan Campbell ist deutscher Staatsbürger tschechischer Nationalität, ein Analytiker. Er wurde 1946 geboren. Bis November 2014 leitete er Campbell Concept UG Bonn und arbeitete als Assistenzprofessor an der Fakultät für Betriebswirtschaftslehre der Wirtschaftsuniversität Prag. Bis zu der Pandemie arbeitete er zudem als Gast an ausländischen Universitäten, Anfang der 1990er Jahre leitete unter anderem das EU-Koordinierungsbüro für das TACIS-Programm und war als Berater der EU bei zwei Ministerpräsidenten der Kirgisischen Republik tätig. Er arbeitete auch in einer Reihe weiterer Länder, darunter in Großbritannien, Italien, der Schweiz, Malaysia, der UdSSR, Kirgisistan, Kasachstan, Rußland, der Tschechischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland. In Rußland erhielt er den Ehrentitel eines Professors an der Ural State Agrarian University. In der Slowakei gewann er 2014 den Goldenen Biatec Award für „Völlig neue Perspektiven auf vergangene und gegenwärtige Ereignisse in in – und ausländischen Medien, insbesondere aber in seiner beruflichen Praxis in einer Reihe von internationalen und nationalen öffentlichen und privaten Organisationen.