Die Beschäftigung mit Philosophie wird heute immer beliebter – auch im Management. Warum? Weil sich hier die Sinnfragen am unmittelbarsten verbinden und Motivationstrainer oft keinen nachhaltigen Erfolg generieren können, wenn sie methodisches Denken vernachlässigen. Ein konkreter Nutzen entsteht, wenn es gelingt, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen und seine begrifflichen Fähigkeiten weiterzuentwickeln und zu schärfen. In Deutschland kann Philosophie zwar an vielen Universitäten studiert werden, doch es fehlt häufig an interdisziplinären Studiengängen, die heute dringend gebraucht werden. Eva Weber-Guskar, Professorin für Ethik und Philosophie der Emotionen an der Ruhr-Universität Bonn, betonte in der Wochenzeitung DIE ZEIT, dass wir Informatik- und insbesondere KI-Spezialisten brauchen, „die nicht nur mit Begriffen wie Intelligenz oder Bewusstsein sicher umgehen können, sondern schon bei der Entwicklung der Probleme erkennen, wo sich ethisch-normative Fragen stellen und welche Verantwortungsketten sich ergeben.“
Allerdings werden auch in den Beratungsgremien Menschen gebraucht, die nicht nur über Philosophie Bescheid wissen, „sondern auch eine Ahnung davon haben, bei welchen digitalen Systemen man an welchen Schaltern wie sinnvoll eingreifen kann.“ Kritisiert wird auch, dass die Fächer heute kaum durchlässig sind Ergänzungen entsprechender Module fehlen. Neue Denkstile und Methoden sowie neue Formen interdisziplinärer Zusammenarbeit, etwa mit Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaftlern, Ökonomen, Informatikern, Psychologen und Philosophen sind heute dringlich, denn es müssen Lösungen für Mega-Krisen wie Klimawandel, Ressourcenverknappung, demografischer Wandel, instabile Finanzsysteme, die Folgen der Globalisierung, zunehmende Gewaltbereitschaft, Digitalisierung sowie das schwierige Verhältnis von Freiheit und Sicherheit gefunden werden. Das sind nicht nur Herausforderungen für Politik und Gesellschaft, sondern auch für jeden Einzelnen. Die Philosophie kann dabei ein wichtiger Wegweiser sein.
Dr. Ina Schmidt beschäftigt sich seit Jahren mit der Frage „Wozu Philosophie?“ Die Philosophin studierte Angewandte Kulturwissenschaften an der Universität Lüneburg und promovierte im Bereich Philosophie über den Begriff des Lebens in der Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts. Im Vordergrund ihrer Forschungen stand der Einfluss der Lebensphilosophie auf das frühe Denken Martin Heideggers. 2005 gründete Ina Schmidt die Denkräume, eine Initiative, in der sie in Vorträgen, Workshops und Seminaren philosophische Themen und Begriffe für die heutige Lebenswelt – sowohl von Unternehmen wie Privatpersonen – verständlich macht. Schmidt betont, dass man der Philosophie zugutehalten muss, „dass sie sich seit über 2000 Jahren beständig den grundlegenden Fragen des Lebens zuwendet, während andere Disziplinen davon sehr gern und immer öfter Abstand zu nehmen versuchen.“
Philosophie geht den existenziellen Sinnfragen auf den Grund und versucht, nach dem Sinn und dem zu fragen, was den Menschen und ein gutes Leben ausmacht. Sie schärft das kritische Denken und differenziert Begriffe. „Das mag nicht immer die Bilanzen verändern und ganz sicher entsteht daraus auch kein Rezept für ein gutes Leben, aber ohne diese Fragen bzw. Fähigkeiten, werden wir das, was wir unter Erfolg, Glück oder Selbstbestimmung verstehen, nicht mit Leben füllen können“, so Schmidt. Es geht vor allem darum, sich klarer zu werden, „von welcher Position aus, mit welcher Perspektive und welchen Kriterien wir die Welt betrachten.“ Das ist das Ziel philosophischen Denkens, das gerade in der Komplexitätsgesellschaft so wichtig ist. Floskeln und Worthülsen sollten darin keinen Platz haben. Es geht der Philosophie vor allem um die Annäherung an das, was die antiken Denker „Weisheit“ nannten – eine Haltung zur Welt, die immer wieder selbst überprüft werden muss, um richtig handeln zu können.
ist freie Publizistin, Autorin und Nachhaltigkeitsexpertin. Sie studierte Literaturwissenschaft, Psychologie und Buchwissenschaft. Anschließend war sie viele Jahre in oberen Führungspositionen der Wirtschaft tätig. Bis 2009 arbeitete sie als Leiterin Gesellschaftspolitik und Kommunikation bei der KarstadtQuelle AG (Arcandor). Beim den Deutschen Fußball-Bund (DFB) war sie 2010 bis 2013 Mitglied der DFB-Kommission Nachhaltigkeit. Den Deutschen Industrie- und Handelskammertag unterstützte sie bei der Konzeption und Durchführung des Zertifikatslehrgangs „CSR-Manager (IHK)“. Sie leitet die AG „Digitalisierung und Nachhaltigkeit“ für das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt „Nachhaltig Erfolgreich Führen“ (IHK Management Training). Im Verlag Springer Gabler gab sie in der Management-Reihe Corporate Social Responsibility die Bände „CSR und Sportmanagement“ (2014, 2. Auflage 2019), „CSR und Energiewirtschaft“ (2015, 2. Aufl. 2019) und „CSR und Digitalisierung“ (2017, 2. Aufl. 2020) heraus. Aktuelle Bücher bei SpringerGabler (mit Werner Neumüller): „Visionäre von heute – Gestalter von morgen“ (2018) und „Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen“ (2020).
Weitere Informationen:
Ina Schmidt: Die innere Meisterschaft. In: Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018, S. 305-314.
Eva Weber-Guskar: Auch Nerds brauchen Ethik! In: DIE ZEIT (6.2.2020), S. 40.